Die Tagungsbeiträge sollen sich im weitesten Sinne mit der religionswissenschaftlich zentralen und fundamentalen Problematik der Verhältnisbestimmung zwischen Religion(en) und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen befassen und die Rolle der Religionswissenschaft als Fachdisziplin im Verhältnis zu anderen Disziplinen dabei mitreflektieren. Das kann von konkreten Grenzziehungsdebatten, Kooperationen, Verflechtungen, Konflikten usw. zwischen religiösen Organisationen, staatlichen Institutionen, Kunst, Wirtschaft usw. bis hin zu grundlegenden Fragen der Ausdifferenzierung von Religion als distinktes Teilsystem oder Handlungsfeld in unterschiedlichen historischen Kontexten reichen – einschließlich kritischer Reflexionen darüber, ab wann man Religion überhaupt als abgrenzbares Teilsegment einer Gesellschaft betrachten kann.
Die Frage nach der Herausbildung eines durch funktionale Äquivalenz und/oder Familienähnlichkeit gekennzeichneten kulturübergreifenden Handlungsfeldes bzw. sozialen Systems ‚Religion‘ ist untrennbar verbunden mit dem Themenkomplex Kulturbegegnung, Kulturvergleich und kulturelle Übersetzung. Die Formierung eines generalisierten Religionskonzepts in Europa (insbesondere ab dem 17. Jahrhundert) wurde maßgeblich durch Kulturbegegnungen stimuliert. Der Kampf um Dominanz in einem sich seit dem 17. Jahrhundert globalisierenden Handlungsfeld dürfte die Entwicklung eines globalen Religionssystems und den damit korrespondierenden Prozess einer ‚Religionisierung‘ entscheidend vorangetrieben haben. Daher sollen im Rahmen der Tagung auch verflechtungs-, begegnungs- und globalgeschichtliche Perspektiven berücksichtigt werden, die diese Prozesse anhand ausgewählter Fallbeispiele beschreiben und theoretisch fruchtbar machen.
Hiermit zusammenhängend, soll auch der große Themenbereich der Religionsbegegnung – die die Annahme zumindest partieller funktionaler Äquivalenz unter den aufeinandertreffenden Traditionsgeflechten und damit gewissermaßen die Annahme eines transregionalen religiösen Feldes voraussetzt – Gegenstand der Tagung sein. Hier geht es konkret um die Verhältnisbestimmung, Abgrenzung, wechselseitige Beobachtung, Kritik, Bekämpfung und Beeinflussung, aber auch Kooperation von Religionen sowie Konversionen zwischen Religionen. In diesem Kontext wären auch theoretische Beiträge hochwillkommen, die etwa einstmals zentrale Erklärungsansätze wie ‚Synkretismus‘, ‚Assimilation‘, ‚Synthese‘, ‚Hybridisierung‘ usw. im Lichte neuer empirischer und theoretischer Erkenntnisse einer kritischen, aber konstruktiven Revision unterziehen, die Reifizierungen und normative Reinheitspostulate vermeidet, ohne die entsprechenden Dynamiken aus dem Blick zu verlieren.
Da die Herausbildung des Religionsbegriffs als komparatives Konzept und als analytische Kategorie teils Ursache, teils Wirkung der Herausbildung der Religionswissenschaft als eigenständige Disziplin ist, soll auch das Fach selbst, seine Geschichte – seine aktuelle Situation und seine Zukunftsperspektiven – Gegenstand einer kritischen Analyse sein. Dabei soll gemäß dem Rahmenthema die Relationierung der Religionswissenschaft gegenüber anderen Disziplinen im Vordergrund stehen. Die Frage nach den besonderen Kompetenzen, Perspektiven, Fragehorizonten und Schwerpunktsetzungen der Religionswissenschaft verweist zugleich auch auf jene nach der Notwendigkeit, den Bedingungen und Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit in Verbundforschung und universitärer Lehre. Auch Beiträge zu diesem Themenkomplex sind hoch willkommen.
Neben der Rolle der Religionswissenschaft bei der Erzeugung ihres Gegenstandes und ihrer Einwirkung auf das religiöse Feld soll auch die implizit oder explizit ideologiekritische Dimension der Religionswissenschaft in Bezug auf ihre empirischen Gegenstände reflektiert werden. Hier wäre unter anderem zu diskutieren, ob Religionskritik eine Aufgabe, ein Gegenstand oder eine unintendierte Nebenfolge der Religionswissenschaft ist.
So ergeben sich also zusammenfassend vier große, aufeinander bezogene und gegebenenfalls zu ergänzende Themenkomplexe, anhand derer das Tagungsprogramm strukturiert werden soll:
Dieser Themenblock fokussiert auf Unterscheidungspraktiken, Differenzierungs- und Relationierungs- und Grenzziehungsprozesse in unterschiedlichen historischen und regionalen Kontexten. Hier sollen insbesondere empirische/historische Analysen entsprechender Vorgänge in den Blick genommen und theoretisch reflektiert werden. Zentrale Leitfragen wären beispielsweise:
Darüber hinaus eröffnet der Komplex der Grenzziehungen, -aushandlungen, -verschiebungen und -überschreitungen ganz eigene untergeordnete Themenfelder: Eingedenk der Tatsache, dass Relationierungen einerseits flexibel und variabel sind, andererseits Grenzen voraussetzen und erzeugen, sollen auch konkrete Probleme der Verhältnisbestimmung zwischen bereits etablierten sozialen Handlungsfeldern und sie repräsentierenden Institutionen in den Blick genommen werden. Hier sind als erkenntnisleitende Fragen z.B. denkbar:
Hier wird das dynamische Verhältnis von Religionen zueinander betrachtet. Ausgehend von der Prämisse, dass sich keine historische Religion unbeeinflusst durch mindestens eine andere entwickelt hat, sollen hier in synchroner wie in diachroner Perspektive Fallbeispiele für konkrete Religionskontakte und wechselseitige Beeinflussungen vorgestellt und theoretisiert werden. Dabei soll nicht zuletzt die Gefahr der Reifizierung religiöser Traditionen durch die wissenschaftliche Beobachtung und Beschreibung mit bedacht werden. Beispielhaft können folgende Fragen behandelt werden:
Die Rolle der Religionswissenschaft im Kanon der akademischen Disziplinen, ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zu anderen Fachgebieten wird hier reflektiert. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise folgende Fragen relevant:
In diesem Themenblock werden sowohl die religionsproduktive als auch die religionskritische Funktion der Religionswissenschaft in den Blick genommen. Dabei soll auch der Zusammenhang zwischen der Konstruktion – und der Dekonstruktion – des Wissensobjekts ‚Religion‘, der Genese und der Identität des Faches mit bedacht werden. Leitfragen sind unter anderem:
Es handelt sich also um ein Tagungsthema, das trotz seines klaren Fokus‘ auf Relationierung weder zeitliche noch räumliche Vorgaben macht, keine theoretischen Ansätze und methodischen Zugänge ausschließt und zu konkreter empirischer bzw. historischer Forschung, genealogischen Rekonstruktionen, Diskursanalysen und kritischen Reflexionen über die Prämissen und Folgen religionswissenschaftlichen Arbeitens einlädt. Indem es (hoffentlich) allen Religionswissenschaftler*innen Anknüpfungspunkte an die eigenen Forschungsschwerpunkte bietet, ohne thematisch beliebig zu werden, eignet sich das Thema in besonderer Weise für eine Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft.
Die XXXIV. Jahrestagung der DVRW im Jahr 2021 wird die erste (und hoffentlich letzte) Jahrestagung sein, die komplett online stattfindet. Es handelt sich also gewissermaßen um ein Experiment, dessen Chancen wir nutzen sollten. Wir laden daher ausdrücklich dazu ein, kreative Veranstaltungs-Formate zu konzipieren, die sich nur oder besser in einer digitalen Konferenz realisieren lassen. Aus organisatorischen Gründen folgen wir bei der zeitlichen Gestaltung (parallele Zeitfenster) und den bei der gestaffelten Anmeldung anzugebenden Formaten (geschlossene Panels, offene Panels, Einzelbeiträge) den üblichen Konventionen. Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass die Panel-Verantwortlichen bei der Ausgestaltung ihrer Panels weitgehend freie Hand haben – drei Vorträge mit Diskussion, Podiumsdiskussion, Diskussion bereits vorab zur Verfügung gestellter Papers/Präsentationen/Podcasts/Poster, … Was technisch machbar ist, soll auch möglich sein. Bei technisch anspruchsvollen Formaten bitten wir allerdings um vorherige Absprache mit dem Organisationsteam. Für kreative Ideen und Hinweise sind wir jederzeit offen und dankbar.